Geschichte

Die Gründungsphase

Ausgelöst durch ein laues, verweltlichtes und liberales Christentum, entstehen Anfang des 19. Jh. verschiedene erweckliche Bewegungen in der Schweiz.

In den 30’er Jahren kristallisieren sich drei Gruppen von Erweckten heraus: Pfarrer und Laien, die an der Tradition der reformierten Kirche festhalten. Christen, die als eigene Gemeinschaft innerhalb der Staatskirche verbleiben und Dissidenten, welche ausserhalb der Kirche wirken.

Karl von Rodt, späteres Gründungsmitglied der Evangelischen Gesellschaft Bern (EGB), gründet vorher noch 1829 die „Kirche Gottes in Bern“, die später die Freie Evangelische Gemeinde (FEG) wird (Rüegsegger 2008: 8). Mit dem Fall der Patrizierregierung (ca. 1830), ändert sich auch einiges für die Christen. So fällt die Gründung der Evangelischen Gesellschaft im Kanton Bern (EGB) in das Jahr 1831.

Ungefähr 50 Christen waren damals beim „blinden Eisi“ zusammengekommen, darunter Patrizier, Pfarrer, Theologiestudenten und Männer vom Land (Ramser 1982: 58). Ihr erklärtes Ziel war es, innerhalb der „geliebten Berner Kirche“ zu bleiben. Auf Knien wurde dieser wegweisende Entschluss erbeten und mit aufrichtigen Tränen der Hingabe besiegelt. Der Patrizier Kurt Stettler von Rodt wird der erste Präsident und führt das Werk prägend während der nächsten ca. 40 Jahre. 1831 werden auch die ersten Statuten verfasst. Das Ziel der EGB ist gelebte Nachfolge, ein starkes Anliegen für die Mission und Evangelisation, Ausbreitung des Reiches Gottes und persönliche Erneuerung.

1832 – 1837: Sammlung- und Vernetzungsphase

In den ersten Jahren ist es ein Ziel, im ganzen Land die Gläubigen zu besuchen und zu vereinigen. Auch die Heimberg Brüder, welche sich teilweise der EGB anschliessen und andere Gruppen von Gläubigen, unter anderem auch im Emmental, werden angefragt. Die verschiedenen Versammlungen werden in „Hülfsvereinen“ zusammengeschlossen und betreut, 1839 gibt es deren 19 (Rüegsegger 2008: 12). Die Versammlungen treffen sich am Sonntag nach dem kirchlichen Gottesdienst oder am Abend.

Der Wunsch nach mehr Gemeinschaft wächst und auch die Mitgliederzahlen wachsen. 1834 wird der erste „Evangelist“ angestellt (damals hiessen die Pfarrer in der EGB noch Evangelisten).

Von Anfang an ist die Kinder- und Jugendarbeit für die EGB ein grosses Anliegen. Diese Bewegung wird jedoch recht skeptisch von der Evangelischen Kirche beobachtet. Über die Krise und Neugründung dieser jungen Bewegung ist wenig bekannt. Auf jeden Fall gib es diese Krise und eine Neugründung des Komitees Ende der 30’er Jahre.

1841 – 1869: Grosser Einfluss in der Gesellschaft

Die EGB beginnt in dieser Zeit auch Allianzmässig zu denken. Verflachte Beziehung zur FEG werden erneuert und aufgefrischt. Die Evangelisation steht im Mittelpunkt, aber die EGB hat dabei eine Reich-Gottes Sicht. Ihr Anliegen ist, dass dieses Reich überall sichtbar werden soll. So geht es dem Komitee nicht nur um die Lehre, es setzt sich auch tatkräftig für die Erhaltung christlicher Werte in der Gesellschaft ein.

Die einzelnen Mitglieder nutzen allen Einfluss, die ihnen offen stehenden Türen und suchen das Wohl des Volkes. Viele Mitglieder nehmen ihre Aufgabe in verantwortlichen Positionen der Gesellschaft wahr, auch in der Politik. Hier zeigt es sich, dass viele der Gründungsmitglieder aus dem Patrizier-Hintergrund kommen. Das Ziel ist, in der entchristianisierten Welt christliche Werte zu erhalten und sich für die Lehre des Evangeliums einzusetzen. In dieser Zeit erreichte sie folgende Ziele:

 

  • (Kirchen) Politik, Zellerhandel: Im „Zeller-Handel“ 1847 wehrt sich die EGB gegen die Lehrstuhlbesetzung Eduard Zellers, eines liberalen Tübinger Theologen an die Theologische Fakultät der Universität Bern (vgl. dazu Dellsperger 1982: 190-216). Sie verliert im Prozess und wird sogar gebüsst. Der Schlag ist so gross, dass es beinahe zu einem Zusammenbruch kommt.
  • Leitfadenstreit: 1866 setzt sich unter anderem Komiteemitglied und Stadtpräsident Otto von Büren im sogenannten „Leitfadenstreit“ gegen den neuen Leitfaden für den Religionsunterricht ein, welcher in den Schulen eingeführt werden soll. Von Büren macht sich für einen christlichen Leitfaden stark. Doch ohne Erfolg (vgl. dazu Dellsperger 1982: 157-172).

Nach diesen zwei erfolglosen Einsätzen hält sich der EGB in Zukunft eher kirchenpolitisch zurück und besinnt sich auf ihr eigenes Gebiet.

  • Schulen: Im Gegensatz zur Kirchenpolitik ist sie im Schulwesen mit ihrem Anliegen sehr erfolgreich. Die EGB ist an Gründungen der Evangelischen Schule in Bern massgeblich beteiligt. 1851 wird die Neue Mädchenschule gegründet, zuerst nur Privatschule, später auch ein Lehrer-Seminar.
  • 1854 wird das Evangelische Seminar (später Muristalden) von Pfr. Friedrich Gerber, dem späteren Leiter der EGB und Theoderich von Lerber gegründet und 1863 übernimmt die EGB die Oberaufsicht und finanzielle Pflege. 1859 gründet Lerber eine private Elementarschule, in welcher pietistisch gesinnte Eltern ihre Kinder auf biblische Grundlage schulen lassen wollen. (Privatschule). 1864 entstanden daraus ein Progymnasium und zwei Jahre später ein Gymnasium (heute Freies Gymnasium Bern). Ihr anliegen ist es, das Schulwesen nicht kampflos dem herrschenden Zeitgeist auszuliefern. So sieht die EGB das bernische Schulwesen als Auftrag, auch gerade auch die Lehrerbildung (vgl. dazu Ramser 1982: 77-113).
  • Armenwesen und Diakonissenhaus: 1853 stellt die EGB Ulrich Heiniger als Stadtmissionar für das Armenwesen an. Auch in den Reihen der Diakonissen betätigen sich zahlreiche Mitglieder der EGB. Es entstehen zudem diverse Heime. Für die Jugend wird 1853 der „Jugendverein“ gegründet, aus dessen Reihen 1896 der CVJM entsteht. Auch Mädchenvereine gibt es ab 1863 (vgl. dazu Ramser 1982: 41-100).

 Für die EGB beinhaltet die Ausbreitung des Reiches Gottes nicht nur die persönliche Umkehr, sondern den Einfluss auf das ganze Leben und darüber hinaus auf die Gesellschaft. Die Grundüberzeugung besteht darin, dass das Evangelium einen heiligenden Einfluss auf alle Bereiche des Lebens hat und dass das Reich Gottes so sichtbar wird.

1869 – 1879: Die Reformer, das neue Kirchengesetz und der Einfluss der Oxfordbewegung

Die EGB gerät Ende der 60’er Jahre in die Kritik der Kirche, weil sie zu stark die Bekehrung als den Weg zu Gott predigen.

In der Kirche entwickeln sich drei Gruppen von Pfarrern: die liberalen Reformer, die positiven Theologen und die Vermittlungstheologen, welche zwischen den beiden Flügeln vermitteln.

Mitten in diesem Kampf gegen die liberale Theologie erhält die EGB durch eine Erweckungsbewegung neuen Schwung. Als wichtige Impulse für weitere Erneuerungen gilt die Oxford Bewegung (1874/75), welche gerade in der Stadt Bern grosse Kreise zieht und insbesondere die Allianz stärkt (Nägeli 1982: 244-265). Dieser Aufbruch hat zur Folge, dass viele Menschen neu zur EGB kommen und die Räumlichkeiten zu klein werden. 1877 wird die Kapelle an der Nägeligasse in Bern gebaut.

1879 – 1887: „Neue Evangelisation“ – die Blütezeit

Die Blütezeit erlebt die EGB unter Elias Schrenk. Bis 1872 ist er Missionar an der heutigen Elfenbeinküste und arbeitet anschliessend im Auftrag der Basler Mission in Frankfurt a.M. 1879 holt ihn das Komitee zur EGB als Komiteemitglied und als Prediger in der Stadt. Es werden unzählige Evangelisationsveranstaltungen durchgeführt. Die Mitgliederzahlen wachsen sehr stark. Dies führt zum Bau vieler Vereinshäuser. In dieser Zeit ist der Fokus auf die Bekehrung und die Heiligung ausgerichtet. Evangelisationswoche ist beinahe ein Schlachtruf in dieser Zeit.

1888 – 1905: Die Erweckungsbewegung

Die Blühende Arbeit mit Evangelisationswochen wird auch um die Jahrhundertwende fortgeführt. Die Gemeinden wachsen. Laut Nägeli (in Dellsperger 1982: 288 ff) ist das Werk ziemlich gestärkt und ermutigt. Mittlerweilen sind 23 Evangelisten angestellt. Durch die grossartige Arbeit von Elias Schrenk, entwickeln sich auf dem Land, eine grosse Anzahl von Laienevangelisten. Verunsichert wird das Werk nun durch die unterschiedli-chen Glaubenserfahrungen. So kann man mit dem Aufkommen der Pfingstbewegung nicht recht umgehen. Während einige „weiter“ wollen – besinnen sich andere auf die Väter und den Auftrag in der Berner Kirche.

1905 – 1909: Die Spaltung

Durch den raschen Zuwachs an Menschen, entging es der Leitung Führung und Richtung zu geben. Dazu starb 1905 Pfarrer Friedrich Gerber, der sonst gut vermitteln konnte.

Das Komitee unterschätzte vermutlich das Problem dieser Zeit. Mit Mitarbeiter Kündigungen wollte man dem Problem Herr werden. Doch Männer wie Käser und Porter gründeten 1908 einen eigenen Verband – die Landeskirchliche Gemeinschaft des Kantons Bern (VLKG).

In dieser Zeit folgten eine grosse Umschichtung der Christen in den Gemeinden und viele Neugründungen.

Die EGB hatte vor der Spaltung Versammlungen an ca. 200 Orten. Etwa die Hälfte spaltete sich in andere Gruppierungen ab (vgl. in Dellsperger 1982: 228-230). Die EGB entscheidet sich ein Werk innerhalb der Landeskirche zu bleiben.

1910 – 1931: Stabilisierung und Bewahrung

Für die EGB folgen nun ruhige Jahre. In dieser Zeit geht es um die Sammlung, Festigung und Abklärung des weiteren Weges.

1932 – 1963: Stagnation

Bis zum 100 jährigen Jubiläum 1931 wächst die EGB noch, aber im Vergleich mit dem allgemeinen Wachstum wenig. Jedoch setzt nach 1931 Stagnation und gar ein kleiner Rückgang in den Mitgliederzahlen ein. Die Gesellschaft wächst während der Jahre 1931-1956 nicht! 1957 werden dafür neuerdings auch Frauen als Mitglieder aufgenommen 8-). Diese Zeit steht weit entfernt von Aufbruch und Evangelisation. In dieser Phase passierte sehr wenig.

1963 – 1975: Neue Pionierphase in Evangelisation und Diakonie

Lorenz Lutz, damals Pfarrer in der Heiliggeistkirche in Bern, übernimmt in der EGB das Inspektorat (ab 1954), was zu neuem Aufschwung vor allem im diakonischen und evangelistischen Bereich des Werkes führt. Er ist die treibende Kraft im diakonischen Bereich. Durch Lutz und andere werden die „Dargebotene Hand“ (Telefonseelsorge), Mitternachtsmission und das Seelsorge- und Erholungsheim Sursum (1973) ins Leben gerufen. Am Turnweg 14 entsteht eine Station für drogenabhängige Mädchen (1973), das diakonische langer Zeit wird nun ein Aufbruch spürbar (Rüegsegger 2008: 28).

1975 – 1993: Umbruch – Die EGB im Spannungsfeld

So sind die 80’er Jahr geprägt von der Neuausrichtung und einem Aufschwung.

1994 – 1996: Orientierung und Wiedervereinigung (01.01.1996)

In diesen Jahren kommt eine starke Annäherung der VLKG und der EGB. Diese beiden Werke schliessen sich am 01.01.1996 zum Evangelischen Gemeinschaftswerk EGW zusammen. Eine neue Geschichte beginnt – bzw. geht weiter. Gott schreibt seine Geschichte weiter.

Wilhelm Risto